Donnerstag, 23. Juli 2015

Tagebuchseite -500-

Zwischenzeilentlich (*)

Da steht nun also tatsächlich die Zahl "500" über dieser Tagebuchseite. - Das hätte ich mir nie träumen lassen  vor nunmehr knapp vier Jahren, als ich mit den bloggen begann, dass es mal so viele werden würden.

Und genau genommen sind es ja weit mehr Seiten, denn meine Blogtagebuchseiten waren und sind zumeist viel umfangreicher als eine Papierseite im Format A4. Und dann sind ja noch die auch zahlreichen Seiten, die sozusagen mein Blogtagebuch im weiteren Sinne ausmachen, die mit den Sentenzen, den Versen, den Sammelsurien, den Gedanken über Aphorismen und den Zwischenstopps.

Vormals habe ich nie Tagebuch geschrieben, mal von ein paar wenigen ganz und gar halbherzigen Versuchen während der Jahre meiner Jugend abgesehen. Und nun schreibe ich mit in der Regel allerhöchsten recht kleinen Unterbrechungen immer weiter. Keine Ahnung, wie lange das noch weitergehen wird und mit welcher Intensität. Aber Freude am Schreiben hatte ich schon immer, und durch mein Blogtagebuch ist sie mir quasi immanent geworden.

Wenn ich so vor diesen Seiten sitze während ich manches Mal darin herum krame, staune ich nicht nur über die Menge, die ich da inzwischen an Texten, Gedichten usw. aufgeschrieben habe. Ich staune darüber, dass mir nie der Stoff, nie die Ideen ausgegangen sind, und ich sehe auch nicht, dass das in absehbarer Zeit passieren könnte.  Ja, ich habe schon bemerkt, dass sich manche Themen in gewisser Weise auch wiederholen, dass ich sie wieder und wieder aufgriffen habe, mal mit dem Vermögen, sie weiter zu denken, weiter zu entwickeln, manches Mal aber wohl auch, um mich nur noch tiefer in ihnen zu verrennen als bis dato.

Ich spüre, dass die Seiten in Gesamtheit womöglich ein ziemlich charakterisierendes Abbild meiner selbst sind. In vielen finde ich mich auch mit großem zeitlichen Abstand wieder, stelle überrascht fest, wie wahr sie immer noch sind, dass ich zu sehr vielen meiner Gedanken unverändert stehe, auch wenn ich mit einigen davon heute doch in jeweils unterschiedlicher Weise schon ein Stück weiter bin.

In den vielen Seiten zu stöbern, ist sich wiederholend mit Selbstbefragung verbunden, dem Vergleich der Ergebnisse heutiger Selbstreflexionen mit jenen, die schon längere Zeit zurück liegen. Grundsätzlich weiß ich zwar um meinen Platz in dieser Welt, aber diese Selbstbefragungen sind stets wie eine Vergewisserung, die das bereit Sein, sich entsprechend des eigenen Gewissens immer wieder zu justieren, einschließt.

Das ist für mich wichtig. Ich vermag es nicht, einfach so vor mich hin zu leben. Unter anderem deshalb hat und ist Schreiben für mich Lebenssinn.

Was mir nicht gelingt, und was, wie ich vermute, wenn man eigene Texte liest, nicht gelingen kann, ist das, was zwischen den Zeilen steht, erfassen zu können. - Aber es STEHT IMMER etwas zwischen den Zeilen, was in ihnen selbst, so offen und aufrichtig ein Schreiber auch als Person bzw. als solche  zu schreiben bemüht ist, unsichtbar bleibt.

Wenn ich zwischen Zeilen, die andere Menschen geschrieben haben, umher wandere, dann entstehen Bilder, dann empfinde ich stärker, dann wird, was ich lese, zu einer eigenen kleinen Welt, einer Welt, die in meiner Phantasie wie Leben ist, die lebt! Je weniger ich die betreffenden Menschen tatsächlich kenne, desto realitätsferner können und werden die Bilder, die Empfindungen, die in mir entstehen, sein.
Ganz werden die Bilder und Empfindungen, die unterschiedliche Menschen beim Spaziergang zwischen den Zeilen, die ein anderer Mensch geschrieben hat, erkennen und wahrnehmen, nie übereinstimmen. Sie können sich allenfalls gleichen.

Zwischenzeilentliches bleibt also stets ein wenig unwägbar, geheimnisvoll. Auch dann, wenn die Bilder, die auf der Reise zwischen den Buchstaben, den Satzzeichen, den Zeilen entstehen, schöne Bilder sind. Und jede neue derartige Reise, auch, wenn sie in und zwischen die Zeilen desselben oder gar eines schon bekannten Menschen führt, wird wieder eine Reise voller Geheimnisse und Überraschungen sein. Es sind immer und alles auch Reisen ins Unausgesprochene, in das Reich der Phantasien, in eine Welt, die nie ganz, die nie zu Ende erforscht sein wird.

Eine schöne Erkenntnis, finde ich, eine ebenso tröstliche wie herausfordernde, vor allem für Menschen, die das Lesen und Schreiben lieben. Menschen, die die Sensibilität besitzen, so zu erkennen, sind die reichsten Menschen überhaupt.

Dass nicht alle Texte aller Menschen diese Erkennen und damit verbundenes Empfinden zu befördern vermögen, liegt in der Natur der Sache. Ein Fachtext etwa enthält grundsätzlich weniger Zwischenzeilentliches im beschriebenen Sinne.

Ein bisschen bedauere ich es, dass ich das Zwischenzeilentliche in meinen eigenen Texte nicht zu erkennen vermag, aber an sich ist es ja auch müßig. Denn letztlich würde ich, wie jeder derjenigen Menschen, der es zu erkennen vermag, nur meine Version davon sehen. Abgesehen davon, dass sie auch nur eine von vielen wäre, wäre an ihr nichts geheimnisvoll, nichts Phantastisches und nichts, was ich als unausgesprochen empfinden würde.

Aber ich wünsche mir inzwischen, und das habe ich mir fünfhundert Tagebuchseiten früher ganz und gar nicht gewünscht, dass meine Texte, Gedanken und Verse für andere Menschen, die sie zufällig oder bewusst lesen, wenigstens ein bisschen auch "zwischenzeilentlich" sind, jeweils eine kleine Einladung zu einer geheimnisvollen Reise hin zu eigenen Bildern, eigenen Empfindungen, zu einer Reise, die ihrerseits zu bereicherndem Nachdenken einlädt.

(*Das Wörtchen "zwischentzeilentlich" steht nicht im Duden. Es ist von einer jungen Frau, mit der ich eine Zeitlang ein wenig von meinem Bloggerleben teilte, "erschaffen" worden. Sie wollte damit, wenn ich mich recht erinnere, etwas nicht sogleich Sichtbares, etwas noch Verborgenes, umschreiben. Mir gefiel das Wort, so sehr ich so oft "Neuwortschöpfungen" doch eher skeptisch gesonnen bin, gleich bei meiner ersten Begegnung mit ihm ...)

*

Ich höre sie immer noch und immer wieder gern, die Soderberg-Schwestern aus Schweden - und so habe ich hier, ein wie ich finde, besonders schönes Lied "I found a Way" von "First Aid Kit":


4 Kommentare:

  1. Zwischenzeilentlich - das ist wirklich ein wunderbares Wort.

    Und du hast Recht - da verbergen sich manchmal ganze Welten zwischen so ein paar harmlos aussehenden Zeilen. Als Leser ist das ein großes Abenteuer. Es ist die kleine, kostbare Wahrheit, die es uns ermöglicht, hunderte von Leben zu leben in diesem einen kurzen Leben, das wir unseres nennen. Unterm Strich sind nämlich all diese Geschichten aus den selben Worten aufgebaut, aus denselben sechsundzwanzig Buchstaben. Was dazwischen und dahinter liegt, was im Raum stehen bleibt, wenn man das Buch längst geschlossen hat, das ist die wahre Magie.

    Und du hast erneut Recht - für jeden offenbart diese Magie eine andere Welt. Manche unterscheiden sich wohl nun in Nuancen. Bei anderen könnte man auf den ersten Blick nicht mal erkennen, das sie denselben Ursprung haben. (Aber haben sie denn wirklich? Wer ist denn Ursprung dieser Welt, das Zwischenzeilentliche oder der Leser?) Es ist wichtig, dass man Abstand davon nimmt, darauf zu pochen, dass die Welt, die einem offenbart wird, die Einzige und vor allem die einzig Richtige ist.

    Als Autorin fällt mir das vielleicht etwas leichter, weil ich etwas von der Arbeit verstehe, die dahinter steckt, Welten zwischen Zeilen zu verstecken, um sie von aufmerksamen Lesern finden zu lassen.
    Oft genug halte ich beim Lesen inne und applaudiere dem Autoren innerlich für den Geniestreich, der ihm - meiner Meinung nach - in gerade dieser Disziplin gelungen ist.

    Warum du dein eigenes Zwischenzeilentliches nicht erkennen kannst? Weil für dich nichts zwischen den Zeilen verborgen ist. Du bist die Zeilen. Sie entspringen aus dir. Hier ist die Frage des Ursprungs unstrittig. Was sollten sie dir offenbaren, was du nicht längst schon weißt? Das, was wir zwischen deinen Zeilen finden, ist der Spiegel, den deine Worte uns vorhalten. Ist die Erlaubnis, deine Worte auf unser Leben anzuwenden. Herauszufinden, wie viel davon für uns funktioniert und worin wir uns unterscheiden.
    Dein Schreiben an sich ist dein Blick in diesen Spiegel. Ein zweites Mal hinein zu schauen, kann für dich nichts Überraschendes, nichts Geheimnisvolles bereit halten.
    Dafür müsstest du einen neuen Text schreiben - der würde dir ganz sicher Seiten an dir offenbaren, von denen du noch nicht alles wusstest. Das ist durchaus auch ein Teil des Lebenssinn, mit dem das Schreiben mich erfüllt.

    Herzliche Glückwünsche zu den 500 Seiten.
    Das ist großartig.

    Allerliebste Grüße :)

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  2. Ich habe noch viel vor mir, bis ich hier angekommen bin in deinem Heute. 500 Einträge, das ist viel und so viel Leben, das darin steckt. Würdest du ein Buch daraus machen, ich würde es lesen und viele Stellen darin markieren. Es ist lesenswert und nicht nur, um es einmal zu lesen. Auch jetzt lese ich vieles mehrfach.
    Die Musik berührt und mir gefällt dieses Lied auch. Ich kannte es nicht. Danke dafür.
    Ich mag das Wort auch *zwischenzeilentlich. Oft steht hinter jedem Wort, hinter jedem Satz und Gedanken so viel mehr, da sind so viele Gedanken mehr. Was sich aber wirklich dahinter verbirgt, weiß vielleicht nur derjenige, der sie aufgeschrieben hat selbst. Vielleicht interpretieren andere Menschen andere Inhalte hinein. Manchmal geht dabei der wahre Gedanke verloren. Aber wenn du den Kern erkennen kannst, "zwischen den Zeilen lesen" kannst, dringst du zum Herzen, zum eigentlichen ich durch. Und nur derjenige, der die Zeilen selbst geschrieben hat, weiß auch was zwischen den Zeilen steht, daher kannst du es nicht sehen, weil du den Kern, den Inhalt kennst, manchmal unausgesprochen. Du kannst das zwischen den Zeilen stehende nur bei anderen Menschen entdecken und finden, auch suchen.
    Ich mag deine Gedanken. Ich kann dabei viel lernen. Aber ich entdecke mich hier und da auch selbst oder ich möchte etwas an mir ändern. Deine Zeilen regen zum Nachdenken an und aber auch zum Mitfühlen. Du gibst so viel, vielleicht weißt du es nur nicht. Du bist ein ganz besonderer Mensch. Das kann ich aus deinen Zeilen lesen, aus jedem einzelnen deiner Gedanken.
    Ich wünsche dir und mir, dass noch viele Tagebuchseiten dazu kommen mögen. Alles Liebe und Danke für die 500 für uns und dir gratuliere ich dazu.
    Arjana

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    1. Ich denke an dich und bin da für den Notfall und auch, wenn ich helfen kann ;) Atme tief durch und geh alles in Ruhe an, sortieren, ordnen, die Arbeit und dich auch! Mach dir keine Gedanken hier um uns, wir sind auch dann alle noch da und haben Verständnis.
      Ich schicke dir Kraft und Mut, so viel ich kann. Sei gut zu dir und teile dir alles gut auf und vergiss die kleinen Pausen für dich nicht. Wenn du erst einen Anfang gefunden hast, wirst du Schritt für Schritt vorankommen. Schau nicht auf die Zeit/Uhr, dann setzt du dich nur selbst unter Druck. Schau einfach auf das, was du schaffen kannst, ganz ruhig. Glaub an dich! Ich glaub auch an dich.
      Arjana

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  3. Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zur 500. Tagebuchseite! (:
    500 ist eine Menge. Stell dir im Vergleich 500 Menschen vor. Oder wenn jede dieser Tagebuchseiten eine Seite in einem Buch gebunden wäre, ein 500 Seiten dickes Buch kann schon manche Menschen überfordern. Ich bin immer schlecht darin mir solche Zahlen vorzustellen. Aber 500 ist auf jeden Fall schon eine große Menge. Und ich freue mich, dass es nicht bei diesen 500 bleiben wird. Bin schon gespannt auf die kommenden 500, ich freue mich darauf!

    Gerade dieses, wie du es nennst, Zwischenzeilentliche ist das wunderbare am Lesen, am Schreiben. Diese kleine Reise, die jeder einzelne dabei macht, diese eigene kleine Reise, eine Reise, die kein anderer so macht, wie man es selbst tut, einfach etwas wundervolles. Dieses Zwischenzeilentliche kann so viel in einem auslösen. All diese Gefühle und Gedanken, es ist ein aufleben eines Selbst. Schreiben ist etwas tolles. Schreiben kann vieles bewirken, sei es beim Schreiber selbst oder beim Leser.

    In diesem Sinne möchte ich mich auch noch von dir für die kommende Woche verabschieden. Wir werden hoffentlich im neuen Monat wieder voneinander lesen, ich würde mich freuen (:

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