Dienstag, 28. Juli 2015

Tagebuchseite -501-

Empfindungscocktail

Es fühlt sich gut an und doch fremd. Es lässt mich Freude, ein wenig Stolz sogar empfinden und scheint mir doch unwirklich. Mein Herz wandelt auf anderen Pfaden der Anspannung und Traurigkeit als ich sie sonst "gewohnt" bin. Merkwürdig schönen Pfaden. Ich bin es nicht gewohnt, Anspannung und Traurigkeit als schön zu empfinden.  Und beide kann ich in Verbindung mit dem Gefühl von Schönheit nicht erklären.

Das Konzept, welches ich in so kurzer Zeit und als Entwurf mit großer Anstrengung und erheblich gemischten Gefühlen erarbeitet habe, da ich doch von dem Fachgebiet, was ich da beschreiben, begründen und im Rahmen eines Projektes für notwendig erklären sollte, noch so gar keine Ahnung habe, hat meinen neuen, meinen künftigen Chef, "sehr beeindruckt".

Das habe ich nicht erwartet, konnte ich nicht erwarten. In meinem Inneren ist stille Freude darüber. Aber eben auch Anspannung, große Anspannung.

Während des Schreibens habe ich erfahren, was da auf mich zukommen wird, wie facettenreich, wie komplex, wie vielfältig, aber auch wie groß, herausfordernd und schwierig meine neue Arbeitsaufgabe werden wird. Ich bin neugierig darauf, habe aber auch Angst davor. Letztere ist nicht kleiner geworden durch das "sehr beeindruckt" meines neuen Chefs. Im Gegenteil, ich vermute, dass ich nun Erwartungen geweckt habe, neue Erwartungen.

Werde ich diesen Erwartungen gerecht werden können? Inwieweit werde ich das vermögen? "Nicht in alte Muster verfallen" höre ich meinen Kliniktherapeuten sagen, und ich beginne zu begreifen, dass er damit nicht nur eine Rückkehr in meinen alten Arbeitsbereich, den, an dem ich meine Kraft, meine Gesundheit verloren habe, gemeint hat. Und ich weiß, dass ich immer noch nicht wieder gesund bin, es vielleicht und wahrscheinlich nie mehr ganz werde.

Einen Weg zu finden, sich von diesem Wissen nicht einschüchtern zu lassen und dennoch sich "in neuen Mustern" auch nicht zu überfordern, ist nicht leicht. Bislang habe ich es nicht verstanden, einen solchen Weg zu finden. Ich muss es lernen., ich weiß. Auch, damit ich, obwohl ich Freude empfinde, nicht gleichzeitig traurig bin oder werde. Damit mein Leben ein anderes Leben wird, eins in dem ich ICH bleiben kann und darf, das aber lebenswerter ist für mich als mein bisheriges. - Ich glaube inzwischen daran, dass das möglich ist, ohne, dass ich etwas zum Nachteil anderer Menschen tue. Das habe ich bislang so nicht wahrhaben können und wollen.

Auch mit meiner neuen Arbeit werde ich anderen Menschen helfen. Anderen Menschen, auf andere Weise, auf anderen, neuen Feldern als bislang.

Ich überlege gerade besonders viel, was ich noch, ICH selbst noch mehr, noch anderes, tun könnte, ohne "in die alten Muster" zu verfallen. In meinem "früheren" leben habe ich viel getan, vor allem inspiriert durch und abgeleitet von meiner damaligen Arbeit.

Eine Blogfreundin schrieb zuletzt, dass sie sich als Stammzellenspenderin registrieren lassen wird. Eine andere, hat schon längere Zeit einen Organspendeausweis. Ich überlege, ob ich das eine meiner Ehrenämter aus meinem "früheren" Leben, das in der Härtefallkommission, fortführen werde, NUR dieses eine. Und ich denke darüber nach, ob ich künftig amnesty international bei Briefaktionen unterstütze, gegen das "verschwinden lassen" von Menschen, etwa in diktatorischen Staaten. Auch der schon länger in mir arbeitende Gedanke, einem Kind aus einem armen Land durch eine Patenschaft unmittelbar zu helfen, ist nicht vom Tisch.

Ich möchte tun, was ich tun KANN. Besser auf mich aufpassend, ja. Aber etwas tun. Für andere, dafür das ALLE besser leben können, dass mehr Gerechtigkeit, mehr Rücksicht ist auf der Welt.

*

Mein Vater. Mein Vater! -

Den Sonnabend hatte ich mich ja komplett vom Familienleben zurückgezogen wegen der Arbeit an dem Konzeptentwurf. Aber den Sonntagnachmittag, habe ich nicht hergeben wollen. Und so sind wir, wie ursprünglich geplant, zu meinem Vater gefahren, und zu seiner Freundin. Erstmalig haben sie uns gemeinsam erwartet.

Was war das für ein toller Nachmittag! Was haben sich da für zwei Menschen gefunden! In einem so hohem Alter (86 und 82 Jahre), das man beiden übrigens überhaupt nicht ansieht. Sie wirken beide, WIRKLICH, jeweils mindestens 10 Jahre jünger.

Sind geistig sehr rege, haben viele gemeinsame bzw. sich ergänzende Interessen, machen zusammen kleine Ausflüge, planen und realisieren Unternehmungen und treten sogar beide immer wieder öffentlich auf. Ja! C. (so heißt die Freundin) mitunter mit einer kleinen Tanzgruppe, die sie noch leitet, und für die sie Kostüme näht (aus selbst beschafften Materialien) aber auch als allein Vortragende, Rezitierende, und mein Vater als Vorleser und Rezitator vor allem plattdeutscher Geschichten, Anekdoten und Verse. Dabei haben beide, natürlich, auch so ihre Wehwehchen.

Als wir am gedeckten Kaffetisch saßen, sah ich zum Bild meiner Mutter an der Wand. Sie schaute von dort aus genau auf die Tafel. Das war ein schwerer Moment für mich. Aber ich glaube, Mutter hat sich gefreut, wie wir da so beieinander waren.

Gefehlt hat sie mir dennoch. Besonders in diesem Augenblick. - Sie fehlt mir sehr oft ...

Vater hat nicht ganz Wort gehalten. Die Schreibereien, die ich ihm zum Lesen überlassen hatte, hat er nun doch nicht ganz für sich behalten. C. hat er davon vorgelesen und eine Cousine von mir hineinschauen lassen (Über Letzteres bin ich wirklich nicht sehr erbaut.) - C. ist nun ganz begeistert, und Vater sowieso - das hatte er mir schon vor drei oder vier Wochen am Telefon gesagt.

Und in mir ist nun auch darauf bezogen wieder dieses Gemisch aus stiller Freude, Anspannung und "schöner" Traurigkeit. Und ich höre Vaters: "Mach da mal was draus, Junge!" -

Ich habe ja selbst schon ein bisschen daran gedacht, und eine sehr liebe Freundin denkt ähnlich, und wir wollen  gemeinsam mal sehr intensiv schauen, auswählen, zusammenstellen, aus meinen Texten und aus ihren. Und sie wird vielleicht ein bisschen illustrieren dazu. Sie malt und zeichnet so wunderschön.

Aber ich möchte nicht, dass irgendwer eine Erwartung damit verbindet. Ich selbst tue das auch nicht.
Ich habe nie für die Erfüllung einer Erwartung geschrieben, auch keiner eigenen. Ich könnte das auch nicht. Dann könnte ich überhaupt nicht (mehr) schreiben.

In mir ist also so ein Gefühlsgemisch, ein Cocktail, aus Freude, Neugier, ein bisschen Schwermut, Unsicherheit und, doch immer wieder auch Angst, ein Cocktail, "vertraut" aber auch irgendwie neu.

Ich höre ein Lied, dieses hier, es gefällt mir sehr. Und irgendwie tröstet es mich gerade, obwohl ich gar nicht weiß, ob es Trost ist, nachdem ich mich gerade sehne. Es ist von "Rosenstolz" und heißt "Ich hab' genauso Angst wie Du":


(Bitte anklicken!)   

4 Kommentare:

  1. Ich freue mich so sehr, dass zu lesen. Das ist ein guter Schritt. Ein wunderbarer Anfang. Das wollte ich gern unbedingt sagen und gern mehr: morgen. Heute Abend fühle ich mich nicht so gut. Morgen wird es besser sein. Entschuldigung.
    Rosenstolz: die mag ich total, hab ganz viel Musik von ihnen.
    Du kannst heute stolz auf dich sein und das mit deinem Vater ist auch so schön.
    Bis morgen, Arjana.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich wünsche Dir, dass es nicht zu schlimm ist und das es Dir ganz bald wieder besser geht. Hab' eine gute Nacht!

      Löschen
  2. Dankeschön. Heute ist es schon besser.
    Dein Cocktail hier hört sich wirklich gut an. Und es macht bestimmt auch Mut und ist aufbauend. Denke nicht über Erwartungshaltungen nach. Mach alles nach und nach weiter, so wie du angefangen hast und hab Freude an deiner neuen Aufgabe.
    Du denkst so viel an andere Menschen. Das ist wunderbar. Nur vergiss nicht, auch an dich zu denken, das ist ganz wichtig.
    Sehr berührt hat mich auch, wie du von der Begegnung mit deinem Vater und seiner Freundin geschrieben hast und wie aktiv die beiden auch sind. Das ist ganz besonders und ja, ich glaube auch, dass deine Mutter gelächelt hat, dass es euch allen gut geht.
    Rosenstolz: ich habe diesen Titel auch einmal nachgesungen im Zusammenhang mit anderen Titeln auf eine CD ;) Ich mag den Text, die Melodie, die Stimme, sehr berührend.
    Herzliche Grüße, Arjana.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mir gefallen auch viele Sachen von Rosenstolz sehr gut.

      Aber ich mag auch andere Sachen. Ich hatte ja in meinem alten Blog schon manchmal entsprechende Musik hochgeladen. Das werde ich hier weiter tun. manches aus dem alten Blog werde ich hier auch noch einmal einstellen.

      Ich bin froh, dass es Dir wieder besser geht!

      Liebe Grüße!

      Löschen